Abbruch aller Moderne
08.04.2021 –
11.07.2021
Abbruch aller Moderne
Christian Haake, Arne Schmitt, Saskia Senge, Ingo Vetter
Als Moderne bezeichnet man gemeinhin den Zustand unserer (westlichen) Welt seit Industialisierung und Französicher Revolution. Mit der Moderne kam der Niedergang von Gottesstaat und Monarchie, sowie der Aufstieg demokratisch verfasster Nationalstaaten. Begleitet wurden diese Prozesse von einem neuen Subjekt: ausgestattet mit einer Psyche, biografisch einheitlich, rechtlich gebunden, frei darin, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Der Ort, an dem sich die Moderne maßgeblich entfaltete, war die Großstadt. Hier entstand in der Verdichtung unterschiedlicher Lebensweisen ein Platz ungeahnter Möglichkeiten und Konflikte. Zunächst in den Sphären von Produktion und Konsum fanden neue, flexible Baumaterialien wie Glas, Stahl und Beton zu sich selbst. Moderne und Stadt werden seit den 1980er Jahren in wiederkehrenden Wellen von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren für beendet erklärt. Begründet wird dies mit der Beobachtung sterbender Industrien, dann sterbender Städte, schließlich der Entstehung bereinigter postindustieller und posturbaner Millieus. Die Subjekte werden gleichzeitig als fragmentiert beschrieben. Ihre Identitäten zeigen sich sexuell, national und ökonomisch ausgefranst.
Wenigstens retrospektiv erscheint die Warenvitrine der 1960er Jahre als großzügiges Stadtmöbel, das sich ineffizient Platz nahm und ungefragt Licht gab. Die geschwungenen Betonbrücken, die in so vielen bundesdeutschen Städten über die Leerstellen des Weltkrieges gespannt wurden, schafften neuen Raum. Dies gelang ihnen, indem sie Fahrschluchten für Fußgänger überbrückten und offene Plätze überdeckten. Ob aus den Trümmern der Industrie Blumen emporwachsen werden, oder die befreienden und zugleich einengenden Konsumgüter dereinst phantastisch und von Zuckerkristallen überwuchert werden, wird man noch sehen. Sollten Blumen und Zuckerkristalle die Leerstellen besetzen, und nicht Ödnis, Zwang und Gewalt, wird man sie als gegelückten Abschluß betrachten müssen – als Vollendung des Anspruchs der Moderne gegen ihren blinden Vollzug.
Fotodokumentation: Konstanze Spät