Alice Creischer & Andreas Siekmann
09.11.2013 –
13.12.2013
Zur Aktualisierung des Atlas von Arntz und Neurath
Alice Creischer und Andreas Siekmann nehmen die Aktualisierung eines Projektes von Gerd Arntz und Otto Neurath aus den 20er Jahren vor - ein Kartensystem, in dem aktuelle politische Daten verzeichnet werden. 1929 begannen Gerd Arntz und Otto Neurath im Wiener Institut für Bildstatistik die Arbeit am Atlas "Gesellschaft und Wirtschaft. Bildstatistisches Elementarwerk". In der Methode der Visualisierung dieser Informationen geht es um Mengenbegriffe. Man sieht keine Zahlen und Kurven, die vorgeben, sofort erfassbar zu sein. Man ist vielmehr gezwungen, im Lesen anzuhalten und eine gewisse Zeit mit dem Zählen bzw. der Relation von Mengen zu verbringen. Creischer und Siekmann fasziniert an der grafischen Arbeit von Arntz und Neurath besonders die potenzielle Aufforderung der bildnerischen Elemente, die Verhältnisse, die sie beschrieben, umzukehren. Damals war das eine Widmung an die Räterevolutionen und ihre Fabrik- und Kasernenbesetzungen.
Als der bildstatistische Atlas 1930 in Leipzig erschien, schreibt Gerd Arntz dazu in der Zeitung "a bis z", dem theoretischen Organ der anarchistischen Künstlergruppe "Kölner Progressive": "Eine Bilderkunst des Bürgertums kann es nicht mehr geben. […] Wir zeigen die Starre und Enge unserer Lebensformen auf und die Kräfte, die die Zusammenballung an den Konzentrationspunkten, an den Arbeitsstätten bejahen und sie zur Aufhebung eines Lebens bringen, das oben und unten verweigern möchte. Wenn Inhalt, dann die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. […] Bei der Statistik ist es auch so. Es ergibt sich aus den Zahlen und Mengen, aus der Entwicklung und Bewegungsrichtung von Produktionszweigen und Menschenorganisationen der Eindruck des Endes des bisherigen Wirtschaftens. […] Es ist noch ein Anfang. Aber im Weiterausbilden des Begonnenen wird es möglich sein, unsere Abhängigkeiten und Möglichkeiten, soweit sie von Material und dessen Mengen gebunden sind, zu zeigen und unser heutiges Leben zu analysieren, Forderungen zu stellen und dem Erkannten einen Druck zur Realisierung zu geben."
Der Atlas zeigt, wie sehr die Ethik von Rationalisierung, Technik, Modernität in dem Projekt der Bildstatistik mit einem linken revolutionären Selbstverständnis verbunden war. Es fällt heute etwas schwer, sich dieser Bildsprache in der Dringlichkeit und Aktualität ihrer Zeit zu widmen, also ihre eigentlichen Adressaten – die damaligen Arbeiter und Arbeiterinnen – nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren. Creischer und Siekmann versuchen, indem sie diese Bildsprache wieder aufgreifen, ihr Engagement und ihr künstlerisches Selbstverständnis auf die Gegenwart zu übertragen. Jedes der 100 statistischen Blätter soll durch ein neues ergänzt werden – entweder als einfache Aktualisierung oder bewusste Entgegensetzung. So etwa bei den Blättern zu Sklaverei und
Kolonialismus, wo nun die Konferenz von Durban und die Reparationsforderungen der afrikanischen Staaten gegenüber den USA behandelt werden.