Eiko Grimberg
14.06.2015 –
19.07.2015
Borrowed Shapes
In und um Paris finden sich einige inzwischen klassisch wirkende Wohnanlagen im Stil des Eklektizismus der 1980er Jahre. Die gestalterischen Entscheidungen sind heute kaum mehr nachzuvollziehen, sie erscheinen als geschmackliche Verunsicherung, ihre Halbwertszeit ist schon nach etwas mehr als dreißig Jahren erreicht. Diese Großbauten sollten das Urbane in der Peripherie verwirklichen und griffen dafür auf die Formsprache des Klassizismus zurück, was sowohl die Gestaltung des städtischen Raums als auch die der Fassaden betrifft: Tempel und Theater, Säule und Kapitell.
Es handelt sich dabei oft um sozialen Wohnungsbau, die komplette Präfabrikation der Bauelemente garantierte die ökonomische Rentabilität. Das repräsentative Äußere steht in Kontrast zu den bescheidenen Wohneinheiten, die mehr an die „Arbeiterschließfächer“ der geächteten Moderne erinnern als an das „Versailles der kleinen Leute“, wie Bofills Arcades du Lac in Saint-Quentin-En-Yvelines gerne genannt werden.
In seinem Videoessay Borrowed Shapes verbindet Eiko Grimberg zwei Pariser Vororte: Les Colonnes de Saint-Christophe in Cergy-Pontoise und Les Espaces d’Abraxas in Noisy-le-Grand, das eine nordwestlich, das andere östlich gelegen. Dazwischen sehen wir Antigone in Montpellier. Alle drei Ensembles wurden von dem Architekten Ricardo Bofill entworfen und in den 1980er Jahren erbaut. Cergy und Abraxas sind Projekte der Villes Nouvelles, das sind die neuen Zentren der Vorstädte; Antigone war modellhaft gedacht und ist heute ein neues Zentrum neben dem Alten. Während einer Zugfahrt passiert man die Hochhäuser der Vorstädte der 1960er und 1970er Jahre, Vorgängermodelle der postmodernen Zentren.
Das Ornament gilt dem Architekten Adolf Loos als Ort der Verdrängung der menschlichen „Überschüssigkeiten“. Es verkörpere das Triebhafte, das Unbewusste, sei eine Form baulicher Sublimierung. Treffen zwei Bauelemente aufeinander, entsteht eine Naht, die häufig ornamental kaschiert wird. Ist die Naht aufgrund technischer Entwicklung überflüssig geworden, verselbstständigt sich gewissermaßen das Ornament und bildet wiederum einen Moment der Erinnerung, einen unbewussten Rest als „Narben überholter Produktionsweisen“, befand der Philosoph Theodor W. Adorno.
Grimberg führt durch weite, helle Räume, begrenzt von ebenso hellen und flächigen Bauten. Er zeigt die neuen Städte in ihrem Alltag, in dem sich Schulkinder und Einkäufer zwischen ihren Gebäuden bewegen. Wo Grimberg in seinen Aufnahmen ins Detail geht, etwa Säulen, Kapitelle oder eine Bahnhofsuhr zeigt, zerfallen die architektonischen Elemente in Fragmente, die sich ungelenk aneinander schmiegen und etwas zu verdecken scheinen. Diese Gebäude bestehen aus wenig anderem, als ihren historischen und ornamentalen Verkleidungen, deren Geschichte allerdings unsichtbar geworden ist.
Mit freundlicher Unterstützung der Waldemar Koch Stiftung