Christian Haake
19.03.2022 –
04.06.2022
Eröffnung
19. März | ab 16 Uhr
Zur Ausstellung erscheint eine Fotoedition.
Beitrag von Peter Gallasch bei Radio Bremen zur Ausstellung
Christian Haake macht die Conditio des spätmodernen Menschen erkennbar. Gleichzeitig holt er sie kritisch reflexiv ein, zeigt die Flüchtigkeit der Moderne und tritt ihr zugleich entgegen. Er tut dies in drei zentralen Aspekten: Zunächst die technologische Beschleunigung – sie wird kenntlich durch die Dynamik, mit der diese Bilder organisiert sind, etwa jenen den Blick beschleunigenden Fluchtlinien, oder Formen, die wie ins Bildzentrum hineingeschleudert wirken oder reliefartig aus ihm herauszubrechen scheinen (...). Diese Dynamik steht in einem krassen Spannungsverhältnis zum künstlerischen Prozess, zu Christian Haakes „Zeit verschwendender" Handarbeit, bis in jedes Detail, denn Haake baut seine Bilder, verwendet keine vorgefertigten Teile, konstruiert und rekonstruiert seine Erinnerungen bis in die kleinsten Einzelheiten. Zweitens: ökonomisches Wachstum. Auf diesen Bildflächen überlagern sich einerseits die Zeichen, als gelte es, die berühmte Schumpetersche ›schöpferische Zerstörung‹ durch Konsum, die Dynamik des Wirtschaftens selbst zu demonstrieren. Zugleich wird das, was vom ökonomischen Wachstumsprozess ausgespült wird, das Wertlose und Nebensächliche, handwerklich aufwändigst geborgen und so dem ökonomisch Vergänglichen Dauer und ästhetischer, ja sogar materieller Wert verliehen. Schließlich betrifft drittens diese ästhetisch-kritische Reflexion auch die kulturelle Steigerungslogik, der Fetisch des Immerneuen, des Dauerinnovativen der Selbstoptimierung. Hier sucht Haake nicht nur die vergänglichen, untergegangenen Zeichen, sondern rekonstruiert sie mit handwerklichen Verfahren, die selbst aus der industriellen Moderne stammen, wie dem Tiefziehen von Kunststoffformen, dem Gießen und Schleifen, dem Laserschnitt, usw. Aber natürlich nicht, um eine Massenproduktion zu starten, sondern um entgegen der Funktionslogik dieser Verfahren Einzelstücke zu realisieren.
Es sind aber nicht nur diese drei Spannungsverhältnisse, die Christian Haakes Arbeiten im Kontext der „flüchtigen Moderne" erzeugen. Um einen weiteren, wichtigen Aspekt dieser künstlerischen Praxis zu verstehen, muss man den theoretisch aufgeladenen Begriff des ›Denkbildes‹ ins Spiel bringen. Walter Benjamin wendet sich mit diesem Begriff gegen eine rein bildliche Darstellung von Wirklichkeit, gegen eine schiere Widerspiegelung derselben. Das, was Benjamin in der Einbahnstraße, der Berliner Kindheit oder im berühmten Passagenwerk macht, ist stattdessen eine Art erkenntnistheoretische Kristallisation von Wirklichkeit, in der Subjektivität und Objektivität, wahrnehmendes Ich und sein Gegenstand verschmelzen. Was Ernst Bloch über Benjamins sprachliches Verfahren sagte, könnte ebensogut auch für Christian Haakes künstlerische Praxis gelten: Wie Segelschiffe in der Flasche stecken, wie Blütenbäume, schneebedeckte Türme im Spielzeug drehbarer Glaskugeln eingeschlossen und verwahrt scheinen: so stecken hier Philosopheme der Welt unterm Glas der Schaufenster.
Auszug aus: Thorsten Jantschek, Denkbilder der flüchtigen Moderne – Notizen zu Christian Haakes neue Arbeiten, Deutschlandfunk Kultur, 2021