Luise Marchand

21.10.2022 –
04.02.2023

Grund und Boden

Luise Marchand bedient sich für ihre Fotografie einer Ästhetik und eines Bildvokabulars, die an Werbeindustrie erinnern. Zentral in ihrem Werk ist das Aufeinanderstoßen organischer und künstlicher Elemente. In ihrer ersten Einzelausstellung in der Galerie K' zeigt sie zwei neuere Arbeiten, die von diesem Verhältnis handeln, – als irritierende, zufällige Begegnung und als gewaltvolle, zielgerichtete Begegnung.

Zeit ist Geld – Eine Schnecke ist eine Schnecke

Luise Marchand hat beobachtet, wie Schnecken ihre Körper über Geldscheine und Münzen ziehen, an den Falten und Stapeln hochklettern, voller Vorsicht und Neugierde ihre Fühler ausstrecken. Die Bilder, die sie von diesen Szenen gemacht hat, erinnern mit ihren hellen und flächig organisierten Farben an Stockfotografie. Tatsächlich sind die Aufnahmen der Schnecken in ihrer Landschaft aus Geld gerade unter dem didaktischen Titel Zeit ist Geld zur Illustration von Nachrichten und Werbeanzeigen gut geeignet. Und doch sind die Konstellationen nicht so glatt, wie man vermuten könnte, machen sie allerlei Probleme. Denn es scheint so, als entwickelten Schnecken und Geld einige Eigenschaften, die erst bei ihrem unwahrscheinlichen Aufeinanderstoßen sichtbar werden. Vielleicht ist es vergleichbar mit dieser Reaktion im Mund, die sich einstellt, wenn man ein weichgekochtes Ei mit einem Silberlöffel isst. Schnecken und Geld sind jeweils für sich genommen okay. Ihre Herkunft aus der Natur oder der Zivilisation pflegt man getrennt zu denken. Luise Marchands Schnecken schleppen sich über die Scheine und Münzen, wie sie es sonst über Gräser und Fallobst tun. Dass sie den warmen und schleimigen, im Ziel schließlich verschlingenden Kontakt ausgerechnet mit Agenten der Marktwirtschaft vollführen, wird sexuell und wirkt verstörend. Geld, also Scheine und Münzen, sind anale Gegenstände. Die kulturelle Praxis, die sie hervorgebracht hat, basiert auf Arbeitsethos und Sparsamkeit. Scheine und Münzen werden festgehalten und angehäuft, selbst noch nach der digitalen Auflösung ihrer papiernen und metallenen Gestalt. Tatsächlich gehören Geldscheine und Münzen nicht der natürlichen Umgebung von Schnecken an und sie gehören auch nicht zu jenem Teil des menschlichen Alltags, für den sich Schnecken interessieren. Sie ziehen sich als unmittelbarster Teil von Natur über den wohl am meisten vermittelten (oder entfremdeten) Teil einer Kultur.

Radek Krolczyk, 2021

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Muttererde

Der Duft der „Ewigen Gartenrose", den die leblosen Floristik-Elemente in Luise Marchands Werkzyklus Muttererde verströmen, ist zweierlei: ein Sinnbild für den Erhalt natürlicher Schönheit und ein Symbol für die abnorme Überformung synthetisch produzierter Perfektion. Die „Ewige Rose" – der Begriff ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich, der in der Arbeit habhaft wird. Ambivalenzen wie diese stehen im Zentrum des Werks Muttererde. Das Aufeinanderprallen organischer und künstlicher Elemente ist dabei besonders bedeutsam.

Die Fotoserie verweist auf die vielfältige und zeitgenössische Bedeutung der Floristik unter dem Einfluss kapitalistischer Wertschöpfung, die stets den Mutterboden, den fruchtbarsten Horizont natürlicher Ressourcen, bevorzugt. Doch sie legt auch das Scheitern offen, das dem Floristikgeschäft obliegt, den gehaltvollen Nährboden künstlich nachzuahmen. Mit den Mitteln der Fotografie beleuchtet Luise Marchand das traditionelle Handwerk der Blumenkunst ebenso wie die kulturelle Verwendung von Gestecken zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Trauerfeiern und collagiert beides mit Materialien, die auf die zunehmende Synthetisierung in der Verarbeitung von Blumen und Pflanzen verweisen. Die Folien in den Oberlichtern des Ausstellungsraums sowie ihre Verwendung als UV-Druck auf Glas spielen konkret auf die künstlichen Zucht- und Konservierungsbedingungen von Schnittblumen an, während die Wahl von Gitterelementen aus Kleintiergehegen auf die Domestizierung von Lebewesen allgemein referiert.

In der Tradition künstlerischer Vanitas-Stillleben stehend und gleichzeitig mit dem Bildvokabular der Werbeindustrie spielend, ruft Muttererde frühe ästhetische Fragestellungen hervor und provoziert eine zeitgenössisch und moralisch motivierte Reflexion über das Leben, über Konsum und den Umgang mit dem Organismus.

Alexandra Karg, 2022

Ausstellungsdokumentation Volker Crone

Presselink

Benno Schirrmeister in der taz: Das Böse der Blumen und die Check-Card der Schnecke