Luise Marchand

Luise Marchand (lebt und arbeitet in Berlin) bedient sich in ihrer Fotografie einer Ästhetik und eines Bildvokabulars, die der Werbeindustrie entlehnt sind. Dabei setzt sie sich mit den Bildern kapitalistischer Wertschöpfungsprozesse und der Dynamik einer Begehrensökonomie auseinander. In diesem Sinne nimmt die Zurichtung von Mensch und Natur in ihrem Werk eine zentrale Position ein. In Ihrer fortlaufenden Arbeit Die Zeichen stehen gut konfrontiert sie seit 2016 den unperfektionierbaren menschlichen Körper mit allerlei Mitteln, die ihn perfektionieren sollen. Typisch für ihre Arbeitsweise ist die Überführung ihrer Fotografien vom Wandformat in den öffentlichen Raum, zum Billboardposter oder Schaufensterfolie. Seit 2022 ordnet sie für ihre Serie Muttererde Blumen, Hände und Werkzeuge in einer an Kunstgeschichte geschulten Art. So erinnern ihre Fotografien beispielsweise an barocke Malerei oder das Neue Sehen der 1920er Jahre. Auf die Scheiben der Bilderrahmen druckt Luise Marchand Schriften und Muster, die sie auf Ver- packungsfolien von Schnittblumen findet. Die Aufdrucke kommentieren die darunter liegenden Fotografien. Gleichzeitig werden die Bilder zu dreidimensionalen Objekten.
Im Jahr 2019 erhielt sie den Preis der G2 Kunsthalle in Leipzig. 2020 war sie Stipendiatin des Hannoveraner Kunstvereins in der Villa Minimo. Im selben Jahr wurde sie mit dem Dokumentarfotografie Förderpreis der Wüstenrot Stiftung ausgezeichnet. Ab 2023 zeigte sie ihre raumübergreifende Videoinstallation Liquid Company/Flüssige Gesellschaft in unterschiedlichen Museen, darunter dem Museum Folkwang, Essen sowie im Museum der bildenden Künste, Leipzig. In diesem Herbst ist sie Artist-in-Residency im Museumsquartier Wien.  

Arbeiten

Muttererde
Liquid Company/Flüssige Gesellschaft
Zeit ist Geld – Eine Schnecke ist eine Schnecke
Die Zeichen stehen gut
POW - Power Of We

Alexandra Karg

Anlässlich der Ausstellung Muttererde im Kunstverein Hannover, 2022

Der Duft der „Ewigen Gartenrose", den die leblosen Floristik-Elemente in Luise Marchands Werkzyklus Muttererde verströmen, ist zweierlei: ein Sinnbild für den Erhalt natürlicher Schönheit und ein Symbol für die abnorme Überformung synthetisch produzierter Perfektion. Die „Ewige Rose" – der Begriff ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich, der in der Arbeit habhaft wird. Ambivalenzen wie diese stehen im Zentrum des Werks Muttererde. Das Aufeinanderprallen organischer und künstlicher Elemente ist dabei besonders bedeutsam.

Die dreiteilige Installation verweist auf die vielfältige und zeitgenössische Bedeutung der Floristik unter dem Einfluss kapitalistischer Wertschöpfung, die stets den Mutterboden, den fruchtbarsten Horizont natürlicher Ressourcen, bevorzugt. Doch sie legt auch das Scheitern offen, das dem Floristikgeschäft obliegt, den gehaltvollen Nährboden künstlich nachzuahmen. Mit den Mitteln der Fotografie beleuchtet Luise Marchand das traditionelle Handwerk der Blumenkunst ebenso wie die kulturelle Verwendung von Gestecken zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Trauerfeiern und collagiert beides mit Materialien, die auf die zunehmende Synthetisierung in der Verarbeitung von Blumen und Pflanzen verweisen. Die Folien in den Oberlichtern des Ausstellungsraums sowie ihre Verwendung als UV-Druck auf Glas spielen konkret auf die künstlichen Zucht- und Konservierungsbedingungen von Schnittblumen an, während die Wahl von Gitterelementen aus Kleintiergehegen auf die Domestizierung von Lebewesen allgemein referiert.

In der Tradition künstlerischer Vanitas-Stillleben stehend und gleichzeitig mit dem Bildvokabular der Werbeindustrie spielend, ruft Muttererde frühe ästhetische Fragestellungen hervor und provoziert eine zeitgenössisch und moralisch motivierte Reflexion über das Leben, über Konsum und den Umgang mit dem Organismus.

Link zum Video

Christin Müller
Luise Marchand – mit der Künstlerin zu einem neuen Wir

Thema von Luise Marchands Projekt Liquid Company – Flüssige Gesellschaft ist der Traum von Selbstbestimmung und einem Gleichgewicht von Beruf und Privatleben, die im 21. Jahrhundert zu einer greifbaren Realität werden. Ihren Ursprung hat diese Entwicklung in der New-Work-Bewegung, die im Zuge der Globalisierung, Automatisierung und Digitalisierung in den 1980er Jahren einsetzte und Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe verspricht. Der Fokus liegt auf persönlicher Entfaltung innerhalb der Arbeitsumgebung und umgekehrt einer höheren Identifikation mit dem Team und dem Unternehmen. Marchand nimmt die sich verändernde Arbeitswelt nicht nur in den Blick, sondern sie wird selbst ein Teil davon: In Jobportalen meldete sie sich mit verschiedenen Profilen an, wurde Teil von innovativen Teamstrukturen. Sie nahm an Teambuilding-Events teil und arbeitete in diversen Co-Working-Spaces. Ihre Aktivitäten und Beobachtungen zeichnete die Künstlerin mit Bildschirmfotos, Foto- und Go-Pro-Kamera auf und entwickelte daraus die immersive Installation From Me to We.

Um die Arbeit betrachten zu können, müssen wir uns in der Ausstellung auf ein Podest legen, erst dann startet das Video. Eine Erzählerstimme lädt uns zu einem Onboarding in einen neuen Employee-Life-Circle ein. Während wir hören, wie wir Teil eines Teams werden können, sehen wir aus der Perspektive der Künstlerin, wie sie in die Sphären des New Work eingetreten ist. Als Betrachter:innen sind wir eingeladen, diesen Prozess des Onboardings geistig und körperlich nachzuvollziehen, indem wir direkt angesprochen werden – „einatmen, ausatmen“. Ein zweite Stimme erzählt aus der Ich-Perspektive, wie sie in die neue Community eintaucht und gemeinsam mit dieser wachsen will. Das Ich zweifelt kurz an den neoliberalen Versprechen, um schließlich völlig in der „schönen neuen Welt“ aufzugehen. Die Installation ist von fünf Fotocollagen mit sprechenden Titeln umgeben: Green Detox, Your Company Loves You, Now; Flatwhite – You Matter, Employee of the Month, Brick to go, Half full und Move Fast. Auf den Bildern lachen uns unzählige Smileys an, Äpfel und Trinkbecher sind mit den titelgebenden Slogans gebrandet und Pappaufsteller stehen stellvertretend für Mitarbeiter:innen.

Luise Marchand macht sich für dieses Projekt eine Form der Zeugenschaft zunutze, bei der die eigene subjektive Erfahrung der Filter für den dokumentarischen Blick ist. Diese Zeugenschaft überträgt sie auf uns, wenn wir uns auf die Installation physisch einlassen. Die Idee des Dokumentarischen manifestiert sich an dieser Stelle nicht nur als visuelles Forschen und Argumentieren seitens der Künstlerin. Wesentlich ist in diesem Projekt die Betrachter:innenerfahrung, die von der Künstlerin gelenkt und unter Einbezug der visuellen und sprachlichen Codes des New Work gestaltet wird.

 

Luise Marchand hat beobachtet, wie Schnecken ihre Körper über Geldscheine und Münzen ziehen, an den Falten und Stapeln hochklettern, voller Vorsicht und Neugierde ihre Fühler ausstrecken. Die Bilder, die sie von diesen Szenen gemacht hat, erinnern mit ihren hellen und flächig organisierten Farben an Stockfotografie. Tatsächlich sind die Aufnahmen der Schnecken in ihrer Landschaft aus Geld gerade unter dem didaktischen Titel Zeit ist Geld zur Illustration von Nachrichten und Werbeanzeigen gut geeignet. Und doch sind die Konstellationen nicht so glatt, wie man vermuten könnte, machen sie allerlei Probleme. Denn es scheint so, als entwickelten Schnecken und Geld einige Eigenschaften, die erst bei ihrem unwahrscheinlichen Aufeinanderstoßen sichtbar werden. Vielleicht ist es vergleichbar mit dieser Reaktion im Mund, die sich einstellt, wenn man ein weichgekochtes Ei mit einem Silberlöffel isst. Schnecken und Geld sind jeweils für sich genommen okay. Ihre Herkunft aus der Natur oder der Zivilisation pflegt man getrennt zu denken. Luise Marchands Schnecken schleppen sich über die Scheine und Münzen, wie sie es sonst über Gräser und Fallobst tun. Dass sie den warmen und schleimigen, im Ziel schließlich verschlingenden Kontakt ausgerechnet mit Agenten der Marktwirtschaft vollführen, wird sexuell und wirkt verstörend. Geld, also Scheine und Münzen, sind anale Gegenstände. Die kulturelle Praxis, die sie hervorgebracht hat, basiert auf Arbeitsethos und Sparsamkeit. Scheine und Münzen werden festgehalten und angehäuft, selbst noch nach der digitalen Auflösung ihrer papiernen und metallenen Gestalt. Tatsächlich gehören Geldscheine und Münzen nicht der natürlichen Umgebung von Schnecken an und sie gehören auch nicht zu jenem Teil des menschlichen Alltags, für den sich Schnecken interessieren. Sie ziehen sich als unmittelbarster Teil von Natur über den wohl am meisten vermittelten (oder entfremdeten) Teil einer Kultur.

Miriam Stoney
Die Zeichen stehen gut

Die postindustrielle Gesellschaft hat ihre Deutungshoheit über die Ideen von Arbeit, Erholung und Freizeit verloren. Die Zunahme der immateriellen Arbeit geht einher mit einer zunehmend forcierten Optimierung des Individuums, dass sich, einer kontinuierlichen Variable gleich, durch multiple Präsenzen und Zeitlichkeiten navigieren muss. Die nun vorherrschende Mischform aus privatem und beruflichem Engagement zwingt uns dazu, immer und überall einsatzbereit zu sein. Doch was bedeutet das für unser Intimleben, unsere Privatsphäre und unsere Integrität? Es scheint, unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte ändern sich - mitsamt unseren Werten.

Nun, es heißt, die Zeichen stehen gut. Aber gut für was und für wen? Am besten fragt man die Gegenstände, die uns umgeben, die uns dienen und uns täglich ablenken. Gegenstände, die etwas leisten, damit wir es auch können. Die uns helfen, unseren zarten, gefügigen Körper zu pflegen, damit wir im Rennen bleiben, multitaskingfähig und mobil. In Kleinstmengen käuflich zu erwerben, sind selbst unsere Tränen ergonomische Verhandlungsmasse. Die stützende, warme Hand auf der Schulter - ersetzt durch Kinesiotape. Da Technologien zur Selbstregulierung und -ausbeutung in unserem geistigen, emotionalen und körperlichen Dasein zunehmend eine dominantere Rolle spielen werden und diese Hilfsmittel und Werkzeuge bald nicht mehr wegzudenken sind, sollten wir uns besser gut mit ihnen stellen.


 

Luise Marchand
Power Of We


Die Industrielle Revolution hat die Arbeitswelt einmal auf den Kopf gestellt und sie mit Fließbändern, Stechuhren, Schichtarbeit und Arbeitsteilung wieder in Ordnung gebracht. Arbeit brachte das nötige Geld und der Feierabend und auch das Wochenende gehörten der Familie. Jahrzehnte später hielt diese Waage sich nicht mehr im Gleichgewicht. Der Wunsch nach mehr Freiheit im Privatleben hat auch den Ruf danach in der Arbeitswelt verstärkt. Die Digitalisierung im 21. Jahrhundert hat den Traum von Selbstbestimmung und Gleichgewicht von Beruf und Privatleben zu einer greifbaren Realität werden lassen. Nun heißt es wählen zwischen: Homeoffice, Remote- oder Flexarbeit. Der Co-Working-Space des Arbeitgebers gleicht dem heimischen Wohnzimmer, nur besser. Anders als zu Hause gibt es immer frisches Obst, Kaffee und Limo aus der Region – und in rauen Mengen. Power Stations, Mitgliedschaft im nächstgele- genen Fitnessclub sind im Gehalt inklusive.

Die Idee: 
Es soll ein Gleichgewicht geben zwischen Arbeit und Leben – eine Work-Life-Balance. Langsam aber sicher reicht das nicht mehr aus. Das neue Ziel: Aus zwei Welten soll eine einzige werden. Was früher durch die Tore der Fabrikhallen getrennt war, verschmilzt immer mehr zu einer zähen Masse,
die getragen wird vom Wir.
Unternehmen tun vieles dafür, dieses Wir-Gefühl zu stärken. Flache Hierarchien, Alltagssprache, zum Offsite ans Lagerfeuer – all das soll helfen, dass die Mit- arbeiterInnen sich mit dem Unternehmen identifizieren und zu einer kleinen Familie zusammenwachsen. Aus Work-Life-Balance wird Work-Life-Blending.
Was jedoch bleibt ist das Ziel, der Kern der Sache, um den es schon um 1900 ging: Effizienzsteigerung und Produktivität.

Wo bleibt das Gefühl in einer Welt, in der man von „Team Love“ spricht? Ist die Kraft des Wir-Gefühls eine demokratische Kraft?

 

CV

Ausstellungen

2024
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft, EIKON Schauraum im Museumsqartier, Wien
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft. Dokumentarförderpreis 13 der Wüstenrotstiftung (mit Sabrina Asche, Heiko Schäfer, Wenzel Stählin), Haus am Kleistpark, Berlin
All Beauty Must Die (mit Laura Schawelka), Villa Heike, Berlin
Luise Marchand. Reflection Series #3: Cope VII New Toni, Berlin

2023
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft. Dokumentarförderpreis 13 der Wüstenrot Stiftung (mit Sabrina Asche,Heiko Schäfer, Wenzel Stählin), Museum für Photographie, Braunschweig
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft. Dokumentarförderpreis 13 der Wüstenrot Stiftung (mit Sabrina Asche,Heiko Schäfer, Wenzel Stählin), Museum im Kleihues-Bau, Kornwestheim
Luise Marchand + Stefanie Seufert, Laura Mars Gallery, Berlin

2022
Grund und Boden, Galerie K', Bremen
Muttererde. Preis des Kunstvereins Hannover, Kunstverein Hannover
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft. Dokumentarförderpreis 13 der Wüstenrot Stiftung (mit Sabrina Asche,Heiko Schäfer, Wenzel Stählin), Museum Folkwang, Essen
Liquid Company - Flüssige Gesellschaft. Dokumentarförderpreis 13 der Wüstenrot Stiftung (mit Sabrina Asche, Heiko Schäfer, Wenzel Stählin), Museum der bildenden Künste, Leipzig

2021
Zeit ist Geld. Eine Schnecke ist eine Schnecke, 1200 Plakate im öffentlichen Raum während des Gallery Weekend Berlin

2019
POW – The Power of We, HGB Galerie, Leipzig

2017
ACTS OF RESPONSIVENESS, Torrance Shipman Gallery, New York, USA

2016
Bye Body, Bye, The Grass is Greener Gallery, Spinnerei, Leipzig

Ausstellungsbeteiligungen

2024
Zucker, Galerie Mitte, Bremen/Nebyula, München
...am Rande der Natur, Springhornhof, Neuenkirchen

2023
Stadt, Wert, Fluß, Artweek Berlin, Haus1
Skies Most Wanted, Molt, Berlin
12. Darmstädter Tage der Fotografie
Touch. Politiken der Berührung, EMOP Special c/o Amtssalon, Berlin

2022
Der neue Mensch, Worpswede Museen
I DON'T WORK ON WEEKENDS, Kunstverein Göttingen
Sliced Time, Laura Mars Gallery, Berlin
THE ALIEN EVERYDAY, Spoiler, Berlin

2020
Verletzbare Subjekte, Zentrum für aktuelle Kunst, Zitadelle, Berlin
Junge Kunst aus Düsseldorf, Stadtgalerie Kaarst, Düsseldorf

2019
Tender Buttons, Künstlerhaus Bremen

2018
Touch, nGbK, Berlin

2017
Object Lessons, KV Leipzig
Kombi 5, Kunstquartier Bethanien, Berlin
Situations/Flesh, Fotomuseum Winterthur, Winterthur, Schweiz

Sammlungen

Fotomuseum Winterthur
Folkwang Museum, Essen