Miron Zownir

Miron Zownir (geb. 1953, Karlsruhe, BRD) arbeitet seit den 80er Jahren als Autor, Filmemacher und Fotograf. Seine ersten Fotoserien entstanden auf den Straßen und im Umfeld der Subkulturen in Westberlin, London und New York. Charakteristisch für Zownirs Straßenfotografien sind sein radikaler und konfrontativer Blick, sowie das Interesse an der genauen Ausleuchtung prekäerer Milieus. Niemand hat so ausführlich wie Zownir den Transvestitenstrich der New Yorker Sexpiers der frühen 80er Jahre dokumentiert. An den Sexpiers wurde für eine kurze Zeit Begehren und Elend einer sexuellen Minderheit sichtbar. Seit Mitte der 90er Jahre beschäftigt Zownir sich mit der miserablen Situation in den ehemaligen realsozialistischen Ländern Osteuropas. 1995 verbarchte er im Auftrag des Erotic Art Museums Hamburg in Moskau, wo er sich mit der neuen Obdachlosigkeit und dem Sterben auf den Straßen und in U-Bahnhöfen konfrontiert sah. Er bereiste von 2012 bis 2014 als Stipendiat der Robert Bosch Stiftung die vom Bürgerkrieg und der russischen Okkupation zerrüttete Ukraine. Hier, wie auch auf seinen Reisen durch Rumänien portraitierte er in Camps lebende Romafamilien. 2015 besuchte er das Flüchtlingslager in Calais, seine Fotografien verändern sich, werden distanzierter und vorsichtiger. Die Hamburger Deichtorhallen ehrten ihn 2016 mit einer Einzelausstellung. Zuletzt erschien von ihm der Fotoband Romanian Raw. Miron Zownir lebt und arbeitet in Berlin.

 

 

Arbeiten

Romania Raw
Ukrainian Night
New York City Rest In Peace
Down and Out in Moscow
Berlin Noire
london seven eight

 

Miron Zownir & Nico Anfuso
Ein Skandal für Mensch und Natur

Erschienen in: Romania Raw, Pogo Books, Berlin 2020
 

Du hast bereits längere Fotoprojekte in Russland und in der Ukraine realisiert. Deine letzte fotografische Recherchereise hat dich kürzlich nach Rumänien geführt. Was fasziniert dich nach wie vor an Osteuropa?

Meine Faszination für die osteuropäische Literatur, die Fotografie von Kertész, Koudelka, Brassaï und Rodtschenko und die Filme von  Eisenstein, Polanski, Wadja oder Milos Forman und  darüber hinaus die Tatsache, dass mein Vater Ukrainer war, haben mich eigentlich schon sehr früh für den Osten sensibilisiert. Aber außer einem kurzen Abstecher nach Polen, bin ich erst nach einem 15 jährigen Aufenthalt in Amerika für eine längere Fotorecherche nach Russland gereist. Es stand damals alles im Zeichen der Wende und des menschenverachtenden Chaos, das sich 1995 auf den Straßen Moskaus und St. Petersburgs zeigte. Seitdem war ich immer wieder in der Ukraine, vor und nach der Majdan-Revolution, Bulgarien, Polen und gerade für einen längeren Aufenthalt in Rumänien.  

In der Nähe von Cluj-Napoca, in Transsylvanien, wo du deine Basis hattest, leben seit ihrer Vertreibung aus dem Stadtgebiet im Jahr 2010 mehrere hundert Roma Familien auf der Deponie von Pata Rât, dem größten Müll-Ghetto Europas…

Treffender als Müll-Ghetto kann man die Situation in Pata Rât nicht beschreiben. Es gibt in Rumänien immer noch keine richtige Mülltrennung und alles was in Cluj-Napoca an Abfall produziert wird, landet dort wo Hunderte von Romas ihr Zuhause haben. Die Kinder in Pata Rât spielen, essen, schlafen und träumen im Müll, als gäbe es für sie keine Menschenrechte oder ein Recht auf ein Minimum an hygienischen Lebensbedingungen. Arbeit finden sie, wenn sie Glück haben, als Tagelöhner auf der Mülldeponie. Alternativ bleibt ihnen oft nur der Drogensumpf, die Kriminalität und Prostitution.

Ich sehe da dein Foto von den Kindern in „Siegerpose“ vor mir, die vielleicht noch gar nicht wissen, dass sie die großen Verlierer der rumänischen Gesellschaft sind…

Leider symbolisiert der Rauch im Hintergrund  keinen Neuanfang,  sondern einen Status Quo der alltäglichen Vergiftung, Isolation und Resignation. Es ist nicht nur die Aufgabe der Gesellschaft, sondern auch der Eltern dieser Kinder, sie vor solchen gesundheitsschädlichen Einflüssen zu schützen. Es fehlt an Aufklärung und Sensibilisierung für das allgegenwärtige Elend. Und manchmal hat man schon das Gefühl, dass die Gleichgültigkeit oder Resignation der Erwachsenen, gegenüber diesen menschenunwürdigen Bedingungen, den Kindern keinerlei Grundlagen vermitteln, mit denen sie ihre Zukunft besser gestalten könnten. Unabhängig von den Vorurteilen und Ausgrenzungen, denen die Roma eh ausgesetzt sind.      

Du hast aber auch  Ausnahmen getroffen, Menschen, die in Pata Rât großgeworden sind und den Weg heraus aus dem Ghetto gefunden haben…

Ja, Ausnahmen gibt es auch, aber ich habe nur einen getroffen, der es bis zum Vize Kick-Box Champion von Rumänien gebracht hat. Er wohnt mit seiner neu gegründeten Familie mittlerweile wieder in Cluj und hat noch regelmäßig Kontakt mit den in Pata Rat lebenden Roma. Unter anderem bietet er kostenlose Kampfkurse für Jugendliche  an. 

Die Deportation der Roma nach Pata Rât löste immer wieder Proteste von Bürger- und Pro-Roma-Organisationen aus. Leider ohne jeden Erfolg. Seit 2012 arbeitet die Gemeinde Cluj sogar an der Erweiterung der Mülldeponie von Pata Rât, mit EU-Mitteln. Offenbar ohne Rücksicht auf die Menschen und die Auswirkungen auf die Umwelt…

Wie gesagt, die Lebenssituation in Pata Rât ist absolut menschenunwürdig. Und die Haltung der rumänischen Regierung oder Kommunen absolut umweltfeindlich. Rumänien ist europäisches Schlusslicht beim Recycling. Die Stadt Cluj-Napoca lässt ihren Müll erst auf der Deponie sortieren - und zwar von Roma. Aber unter welchen Bedingungen? Das Bürgermeisteramt von Cluj-Napoca engagiert täglich bis zu hundert Roma als Tagelöhner zur Mülltrennung. Der Staat ist zwar Arbeitgeber, lässt aber offensichtlich jegliche soziale Verantwortung völlig außer Acht.

Laut einer Studie des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma (ERRC) ist Pata Rât aufgrund der Schadstoffe in der Luft und im Boden "völlig ungeeignet zum Leben". Ein Großteil des Mülls wird verbrannt oder verrottet auf den Halden, auch chemische Abfälle und Farben. Dennoch leben rund um die Deponien über 1.500 Roma… 

Wenn diese Studien nicht ausreichen, die Situation dort zu ändern, was dann? 

Wenn man deine Fotos betrachtet und zwischen all dem Müll die aus Holz, Presspappe und Kunststoffplatten improvisierten Hütten der Roma sieht,  mag man kaum glauben, dass es sich um die Lebensrealität von Menschen innerhalb eines EU- Mitgliedsstaates handelt…

Das ist Ausgrenzung und Diskriminierung pur. Auch wenn die Roma dort scheinbar eine unglaubliche stoische, desinteressierte Einstellung gegenüber den Müllbergen in nächster Nähe an den Tag legen, bewusst auf Distanz gehen und ihre eigenen Sitten, Bräuche, Wünsche und Gesetze haben, kann man nicht glauben, dass irgendein Mensch freiwillig unter solchen Bedingungen leben will. Dass von Seiten der Behörden keine Annäherung an diese Ausgestoßenen stattfindet, dass es keine oder wenn überhaupt nur eine unzureichende Finanzierung besserer Lebensumstände und Perspektiven oder sonstigen sichtbaren Hilfen gibt, ist ein Skandal für Mensch und Natur, der alles übersteigt, was man mit Europa in Verbindung bringen möchte, aber leider muss.

Überall in Europa versprechen mittlerweile Populisten radikal vereinfachte und menschenverachtende Lösungen für komplexe Themen. Auch der ehemalige rumänische Außenminister Adrian Cioroianu schlug im EU-Beitrittsjahr vor, ein Teil der ägyptischen Wüste zu erwerben und alle kriminellen rumänischen Roma dorthin zu deportieren. Warum begrüßt ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung solche menschenverachtenden Vorschläge?

Das kann ich leider nicht beurteilen. Aber solche Vorschläge erinnern an die Pläne der Nazis, die Juden nach Madagaskar zu deportieren. Dass solche Diskussionen wieder öffentlich möglich geworden sind, zeigt einmal mehr, in was für einer zynischen und korrupten Welt wir leben.  

Du warst bei deinen Fotorecherchen in Osteuropa auch immer wieder in Romavierteln oder sogenannten Ghettos. Auch in Rumänien hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Roma nach 1989 drastisch verschlechtert.  Möchtest du unter anderem mit deinen Bildern auch darauf aufmerksam machen?

Ich mache auf das aufmerksam, was ich vorfinde. Ich arbeite nie mit einer vorgefertigten Absicht und versuche weder zu beschönigen noch zu verharmlosen. Meine Fotorecherchen sind immer subjektive Bestandsaufnahmen meiner Wahrnehmung. Ob sich die Situation der Roma seit dem Zusammenbruch der Ceaușescu-Diktatur verschlechtert hat, kann ich nicht beurteilen. Was für ein Armutszeugnis der Demokratie das wäre.  Gerade die EU, die gerne als Moralapostel der Welt aufritt und pausenlos Integration kolportiert, müsste solche negativen Tendenzen mit allen Mitteln bekämpfen. Wenn man daran denkt wie inflationär mit Milliarden subventioniert wird, kann man nicht glauben, dass man den Roma nicht tatkräftiger beistehen könnte. Allein die Stigmatisierung als „kriminell“, „dreckig“ und „faul“,  lässt den Roma kaum eine Chance, sich in der rumänischen Gesellschaft zu beweisen oder in irgendeiner gleichberechtigten Position zu etablieren. Die Kindersterblichkeit ist unverhältnismäßig hoch und alle Statistiken aufgrund der hohen Dunkelziffern und verschiedener Interessenskonflikte mehr als fragwürdig. Die Tatsache, dass viele Kinder nicht gleichwertig am Schul- und Bildungssystem teilhaben, ist ein unüberbrückbares Hindernis für jegliche Form von sozialer Annäherung innerhalb der Bevölkerung. Der Umweltskandal im Falle von Pata Rât und auch von Kreika, dem Roma Ghetto von Baja Mare ist eine totgeschwiegene Schande, die meiner Meinung nach noch kein bedeutender EU-Politiker aufgegriffen hat.   

Der rumänische Soziologe Nicolae Gheorghe, selbst ein Rom, kritisiert aber auch die strikten Regeln des Zusammenlebens innerhalb der Familien, die ihre Töchter mit 13 oder 14 Jahren zwangsverheiraten und in denen Frauen den Machtanspruch der Männer nicht infrage stellen dürfen. Die soziale Hierarchie der Roma scheint auch im 21. Jahrhundert immer noch dem uralten, tradierten Patriachat zu folgen… 

Seine Kritik ist wahrscheinlich berechtigt, aber man kann nicht von außen intervenieren, gesellschaftliche Veränderungen müssen von innen kommen. Wenn die Roma eine Parallelgesellschaft bleiben wollen, wird man sie auch nicht davon abbringen können. Zwangsintegration hat noch nie funktioniert und führt zu Hass, Unterdrückung, Revolten und Krieg. Gemeinsame hygienische, gesunde, bildungsorientierte und umweltfreundliche Standards und gesellschaftliche Toleranz und Annäherung, müssten trotz aller ethnischen Unterschiede dennoch möglich sein und langfristig bessere Zukunftsperspektiven bieten. Von einem gleichberechtigten Nebeneinander, geschweige denn Miteinander, sind wir aber leider noch viel zu weit entfernt.   

Von 2012 bis 2014 bereiste Miron Zownir gemeinsam mit der Autorin Kateryna Mishchenko die Ukraine. Rund um die Proteste des Maidan besuchten sie mehrere Städte und ländliche Regionen. Durch den engen Kontakt zu lokalen AktivistInnen vor Ort konnten Einblicke in die oftmals abgrundhafte Lebenswirklichkeit der Bevölkerung, wie zum Beispiel von drogenabhängigen, in Ruinen hausenden Jugendlichen in Odessa gewonnen werden. Zownir fotografierte Tuberkulosekranke, HIV-Positive, Waisenkinder und Bewohner verschiedener Roma-Lager.
Es entstanden beindruckende Fotografien, in denen die Vorzeichen der Revolution bereits spürbar sind und die als Aufforderung zur gesellschaftlichen Reflexion der mittlerweile allgegenwärtigen landesweiten Krise zu verstehen sind. Bilder, die in der Ukraine als auch im Ausland medial unsichtbar gebliebene Randgebiete der ukrainischen Gesellschaft zeigen. 2014 reiste Zownir nochmals nach Kiev und dokumentierte das Chaos auf dem Majdan, wo er Verwüstung, große Ratlosigkeit und Trauer um die Menschen, die dort ihr Leben ließen, vorfand.

Der Moment der Proteste des Maidan markierte einen Wendepunkt in der ukrainischen Geschichte, die Menschen nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Zownirs Bilder zeigen diese - hoffnungsvolle, wie auch gefährliche - Instabilität. Der weitere Prozess der Demokratisierung ist durch den russischen Angriffskrieg unterbrochen. Aus diesem Grunde ist Zownirs Arbeit gerade jetzt wichtig, als inzwischen selbst historisch gewordene Bilder dieser Selbstermächtigung, deren weiterer Erfolg ungewiss geworden ist.

Seit 1995 bereist Miron Zownir  die Länder des ehemaligen Ostblocks, darunter Russland, Polen, Bulgarien und die Ukraine. Ihn interessiert die Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit nach dem Ende des real existierenden Sozialismus. Seine Bilder erzählen die Geschichten verarmter Menschen, die an den Rändern der Metropolen in entlegenen U-Bahn-Stationen hausen und an Kälte, Alkoholismus, Gewalt und  Armut leiden. Gelegentlich stößt er auf Leichen, für die sich niemand interessiert, bis die Polizei auf den Fotografen, den sie interessieren, aufmerksam wird. Die Menschen, die er portraitiert, gleichen offenen Wunden. Sie sind in vielfacher Weise beschädigt und werden nicht mehr ganz. Sie gleichen einer Kastrationsdrohung. Man möchte sie nicht ansehen, schließlich könnte man werden wie sie.  

 

Radek Krolczyk
Wunden

Erschienen in: Offene Wunden, 2013, Galerie K' und Mox und Maritz, Bremen 

Luis Buñuel stellt in seinem Film „Ein andalusischer Hund“ (1929) die Unversehrtheit des menschlichen Körpers zur Disposition: Es gibt dort eine Szene, in der ein junger Mann voller Entsetzen seine offene Hand anstiert. Eine Nahaufnahme zeigt, wie Ameisen aus dem Fleisch herauskrabbeln. Seine Handfläche weist ein kleines Loch auf, aus dem die Insekten ans Licht kommen und durch das sie wieder verschwinden. Es scheint, als hätten sie ihr Nest im Inneren seines Körpers. Kurz darauf sieht man auf der Straße eine abgetrennte Hand herum liegen. Eine Menschentraube hat sich um sie herum gebildet, manche der Passanten vergewissern sich tastend, ob ihre Hände noch da sind. Sie sind es noch. Mit den Passanten teilt der Zuschauer des Films seine Angst um die eigene Vollständigkeit. Dass diese Vorstellung der „Vollständigkeit“ zunächst nur eine Fantasie beschreibt, ist so wahr, wie die Angst selbst, die dieser Fantasie entspringt. Die Kastrationsdrohung wirkt: Die erst zerfressene, dann abgetrennte Hand da auf der Straße gefällt mir nicht. Ich möchte es den Passanten auf dem Bildschirm gleich tun und prüfen, ob ich noch beide Hände habe. Die Bilderwelt des Klassikers des filmischen Surrealismus ist rein symbolischer Natur. Wie in der Kirche werden Bilder als Stellvertreter für vielerlei Eigenschaften bemüht. 

Sind die Osteuropa-Fotografien von Miron Zownir symbolisch? Wohl kaum. Dafür ist der Anteil an Wirklichkeit in ihnen zu groß. Das Leid auf Zownirs Bildern wird nicht stellvertretend erlitten. Leid und Tod folgen keinem höheren Sinn. Das erschreckende ist ihre absolute Sinnlosigkeit. Und dennoch sind die Fantasien und Ängste, die hier evoziert werden, ähnlich denen des Symbolspektakels des „andalusischen Hundes“. Mitleid ist eine Projektionsleistung. Mitleiden können wir nur, indem wir uns im Gegenüber erkennen können. Das ausgeschlagene Auge der alten Frau in Moskau betrifft aus Furcht, ein Auge zu verlieren.

Bei Zownir sehen wir Menschen mit allerlei Gebrechen, mit Wucherungen, blutenden Wunden und amputierten Gliedmaßen. Sie bevölkern eine Art Zwischenwelt, eine Welt zwischen Leben und Tod. Die Menschen, die Zownir zeigt, sind in vielerlei Hinsicht beschädigt. Ihre Schäden haben sie im Laufe ihres Lebens erlitten. Sie sind das Ergebnis eines schlechten Lebens, eines Lebens unterhalb der Möglichkeiten des Standes der Produktivmittel. Durch Armut, Obdachlosigkeit, Gewalt, soziale Kälte, Alkoholismus und körperliche Versehrtheit werden sie zugrunde gerichtet. 

Sie leben und sterben, wie es heute niemand müsste. Sie leben und sterben, als gäbe es die gigantische Warenansammlung, von der Karl Marx schreibt, nicht. Sie leben und sterben, als gäbe es keine Wohnungen, Krankenhäuser, Prothesen, Kleidung und Nahrungsmittel. Ihr Leid ist nicht nur ohne Sinn, es entbehrt ihm so jedwede Notwendigkeit.

Viele seiner Protagonisten hat Miron Zownir in U-Bahnhöfen erwischt. Dort hausen sie, im Stich, aber auch in Ruhe gelassen. Hin und wieder stößt Miron Zownir dort auf Leichen, einige besucht er regelmäßig über wenige Tage hinweg. Außer dem Fotografen gibt es niemanden, der sich für die toten Körper zuständig fühlt. Sobald die Sicherheitskräfte den Fotografen bemerken, beginnen sie sich für ihn zuständig zu fühlen. Sind die Eingänge der U-Bahnhöfe die offenen Wunden von Moskau und St. Petersburg? 

Anstelle von Symbolik hat man es hier mit etwas zu tun, das mit Dietmar Dath Drastik zu nennen wäre. Die Bilder sind Ergebnis kurzer und heftiger Auseinandersetzungen zwischen Menschen, dem Fotografen und den Fotografierten. Die Fotografierten stoßen dem Fotografen zu, aber auch der Fotograf wiederfährt den Fotografierten. Er sieht sie, während sie sehen, dass er sie sieht. Dann merken sie, dass es der Fotograf ist, der sie als letzter lebend sieht. Ihre Augen sind leer, aber sie sind auf ihn gerichtet. Einige seiner flüchtigen Straßenbekanntschaften bringen sich für ihn in Pose, einige zeigen ihm etwas. Diese Spannungen, die zwischen dem Fotografen und den Portraitierten bei ihrem flüchtigen Zusammentreffen entstehen, sind den Fotografien anzusehen. Der Fotograf ist kein stiller Beobachter, kein neutraler Dokumentarist und nur selten ein heimlicher Voyeur. Er beansprucht seinen Platz in nahezu jedem seiner Sujets und ist in jedem Bild spürbar anwesend.

Miron Zownirs Fotografien wirken verstörend. Ganz gleich, ob es sich dabei um Portraits von Prostituierten aufden Sex-Piers im New York der frühen 80er oder alkoholkranken Obdachlosen in Kiew von heute handelt - erschreckend wirkt die Distanzlosigkeit, mit der der Fotograf seinen Modellen gegenüber tritt; erschreckend wirkt die Distanzlosigkeit, mit der dann schließlich das Modell dem Bildebetrachter begegnet, man könnte fast sagen: zustößt. Ich betrachte den bettelnden Buckeligen an der Moskauer U-Bahn-Haltestelle nicht gerne. Es ist wie mit der abgetrennten Hand: Das Bild stellt eine Drohun darg. Und Mitleid? Mitleid funktioniert nicht ohne Sorge um die eigene Unversehrtheit.

 

Miron Zownir & Nico Anfuso
Down & Out

Erschienen in: Down and Out in Moscow, Pogo Books, Berlin 2014

Als du 1995 für 3 Monate im Auftrag des Erotic Art Museums Hamburg nach Moskau gingst, um das Nachtleben der Schönen und Reichen zu dokumentieren, hast du deine „Mission“ kurzfristig geändert. Warum war es dir wichtiger das Leben auf der Straße zu zeigen?

Naja, weil das, was sich auf der Straße abspielte der nackte Wahnsinn war. Sobald ich aus dem Zug stieg, torkelten mir  betrunkene, durchgeknallte oder total verzweifelte Menschen entgegen.  Andere waren mitten in der Menge zusammengebrochen oder versteckten sich halbentblößt, zitternd und paranoid in der Peripherie des Bahnhofs. Das war mein erster Eindruck, der sich mit der Zeit noch verstärkte und mir keine andere Wahl ließ, dieses Grauen zu dokumentieren. Zumal das, was sich in der Öffentlichkeit abspielte von den meisten Passanten, uniformierten Autoritäten, der Presse und den neuen Herrschern in Kreml ignoriert wurde. Das Nachtleben von Moskau erschien mir angesichts dieser Zustände so banal und austauschbar, dass ich mich spontan entschloss meine Mission eigenmächtig zu ändern.  

Das post-sowjetische Russland befand sich zu jener Zeit  auf dem Höhepunkt der Transformationskrise. Überall hast du Kranke, Verzweifelte, Obdachlose, und sogar Sterbende und Tote vorgefunden. Warst du erschüttert von den dramatischen negativen sozialen Folgen der Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft?

Klar, es ist nach wie vor unfassbar für mich, dass man so viele Menschen ohne jegliche Vorbereitung oder minimal Unterstützung in das offene Messer des Kapitalismus  gestürzt hat. Ich war definitiv kein großer Freund des Kommunismus, aber dieser Übergang war schon so zynisch und gnadenlos, dass man sich fragen muss, warum der Westen, der doch 45 Jahre lautstark gegen die Sowjets gehetzt hat, in dieser entscheidenden Übergangsphase, so kleinlaut geblieben ist und wiedermal jämmerlich versagt hat.  Den westlichen Regierungen war es offensichtlich wichtiger  mit dem neuen starken, kapitalistischen Russland lukrative Verträge abzuschließen, als diese unerträglichen humanistischen Defizite und Verbrechen  anzuprangern.  Ein, zwei Jahre später, also ab 96/97, haben die russischen Autoritäten damit begonnen, die Obdachlosen, die noch nicht verreckt waren,  wie streunende Hunde einzufangen und in Minitransportern und Bussen in die russische Pampas zu bringen.  Für diese Deportationen wurden sie kahl geschoren und entlaust und dann ihrem Schicksal überlassen. Das Resultat war natürlich auch Quoten dienlich, denn  die Anzahl der Obdachlosen in Moskau ging so merklich zurück, dass man keinen großen Unterschied mehr zu westlichen Metropolen feststellen konnte. Vielleicht gab es auch andere Maßnahmen, aber die Rücksichtslosigkeit mit der die siechenden und sterbenden Menschen in ihrem zum Himmel schreienden Elend  ignoriert wurden, war eine tiefe existentielle Erfahrung für mich, die wahrscheinlich einer der Gründe dafür ist, dass ich seitdem immer wieder Obdachlose fotografiere.          

Nach dem Zerfall der UdSSR ist die Armut in den neunziger  Jahren auf über 40 Prozent  Bevölkerungsanteil gestiegen. Auch die Sterberate stieg drastisch an. Gibt es etwas entwürdigenderes als in der Öffentlichkeit zu sterben?

In deinem eigenen Bett ermordet zu werden oder in einem Gefängnis zu Tode gefoltert zu werden ist wahrscheinlich auch nicht würdevoller. Aber das ist schon das Level, um das es hier geht, das war ein Verbrechen an den Naivsten und Schwächsten, mit nichts zu entschuldigen. Man hat die Menschen auf die Straße gesetzt, verhungern, verdursten oder erfrieren lassen und sie ignoriert oder belästigt wenn sie sich anmaßten sich bemerkbar zu machen. Auf die Idee eine mobile Essensausgabe zu organisieren und zu den Hotspots, also vor allem den Bahnhöfen zu schicken, kam offensichtlich niemand.  Es muss über Jahre auch weder genügend Obdachlosenasyle gegeben haben, noch Ärzte, die sich um die Leute kostenlos gekümmert hätten. Wenn überhaupt dann nur auf privat oder eigen Initiativen von denen mir nichts bekannt ist. Diese ganzen logistischen und humanitären Defizite sind mir nach wie vor ein Rätsel.     

Du hast einige Menschen portraitiert, die du Tage später tot aufgefunden hast.  Welche Gefühle hat das in dir ausgelöst? 

Zunächst Hilflosigkeit und Wut.  Zwischendurch hat das auch eine Anspannung und seltsame Erwartungshaltung erzeugt, als mir klar wurde, dass die Menschen sterben. Fragen in welchem Zustand ich sie beim nächsten Mal vorfinden könnte. Manchmal auch eine naive Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch irgendwohin gebracht werden könnten. Gleichzeitig diese kranken Kicks, wenn man spürt, dass man ein außergewöhnliches Foto oder eine Fotoserie gemacht hat. Dass man Zeitzeuge eines grauenvollen Erlebnisses ist. Alles in allem war das schon ein perverser Zustand, wenn man in seiner Arbeit von Situationen profitiert, die man nicht ändern kann und die einem unter die Haut gehen.  Die konsequenteste und die aussichtsloseste Haltung wäre die gewesen, dass ich alles daran gesetzt hätte, dass den Menschen auf die eine oder andere Weise geholfen wird.  Also habe ich mich eigentlich nur fatalistisch auf meine eigentliche Bestimmung reduziert, wie alle anderen auch, die davon wussten und nichts unternahmen. 

Bist du sehenden Auges  in ein moralisches Dilemma hinein marschiert?

Eigentlich nicht. Ich bin kein Moralist.  Ich habe die Situation verflucht und fotografiert.  Alpträume gekriegt, aber die hatte ich schon vorher. Nur das sie konkreter erfassbar waren und nach dem Aufwachen nicht aufhörten. Über dem ganzen Moskau Aufenthalt lag eine Art von Beklemmung  als hätte man mich in eine Zwangsjacke geschnürt. In einer solchen Situation moralisiert man nicht, man fühlt sich einfach nur unwohl. Und wenn ich, was selten der Fall war, mal gut drauf war habe ich keine Schuldkomplexe gekriegt. Dann habe ich wie alle anderen auch ein paar Gläser Wodka zu viel getrunken.     

Bei deiner fotografischen Arbeit gab es häufig Zusammenstöße mit bewaffneten Milizen und der Polizei. Was waren die Gründe dafür und was hat dich angetrieben dennoch weiterzumachen, obwohl du befürchten musstest verhaftet zu werden?

 Mit meiner Glatze, der westlichen Kleidung und Kamera, fiel ich natürlich auf. Und da ich meistens die gleichen Orte aufsuchte, war irgendwann den betrunkensten Ordnungshütern, die auf allen Bahnhöfen präsent waren und eigentlich nur herumstanden und die Obdachlosen schikanierten, klar , dass man ein besonderes Auge auf mich werfen musste. Ich hatte ja offensichtlich nicht das offizielle Vorzeige-Moskau im Visier. Und da ich auf besoffene Kalaschnikow schwingende Milizen keine Lust hatte, musste ich mich ziemlich diskret und unauffällig bewegen. Die vier, fünf Mal, wo ich mich auf Englisch rechtfertigen  musste, was sowieso keiner verstand, waren Situationen, wo ich haarscharf einer Verhaftung oder körperlichen Attacken entging. Es war manchmal schon ein groteskes Katz und Maus Spiel. Ich musste mich verstecken weil ich die Wahrheit dokumentierte. Also von Demokratie war nicht viel zu spüren, Aber das kennt man ja auch vom Westen, wenn man z.B. auf Demonstranten einprügelnde Polizisten fotografiert. Dafür wurde ich auch schon in Deutschland verhaftet. Aber dass ich aufgeben könnte, kam mir nie in den Sinn. Ich meine, ich war ja nicht in Tschetschenien und mir flogen nicht die Kugeln um die Ohren, das war eine Situation, mit der ich mich ganz gut arrangieren konnte.     

 Zu jener Zeit befand sich Russland mitten im ersten Tschetschenienkrieg. Nachdem im Sommer 1995 bei einer Geiselnahme tschetschenischer Separatisten im Krankenhaus von Budjonnowsk 150 Menschen getötet worden waren, war auch in Moskau überall die Angst vor weiteren Guerillaaktionen und Terroranschlägen spürbar….

Ja, aber ich hatte das nur am Rande mitgekriegt, indem z. B. an den U-Bahnausgängen hauptsächlich dunkelhäutige Leute kontrolliert wurden. Ich hatte in der ganzen Zeit kaum mal eine Tageszeitung gelesen oder russisches TV gesehen.  Die auffällig vielen behinderten Kriegsveteranen, die man so sah, stammten hauptsächlich noch aus dem Afghanistan Krieg. Aber ab und zu tauchten immer wieder blutjunge, bis auf die Kopfhaut geschorene Soldaten auf, die im Gänsemarsch hintereinander her trottelten und nicht unbedingt den Eindruck machten, dass sie sonderlich scharf auf Kriegsspiele waren.  

Du hast Moskau mal als die aggressivste und gefährlichste Stadt beschrieben, in der du jemals gewesen bist. Was hat diesen Eindruck bei dir hinterlassen?

Alles, vom einkaufen, über U-Bahn fahren, nach Informationen fragen bis zu den Erfahrungen beim fotografieren, war stressig.  An jeder Ecke stritten sich Leute, schlugen ganze Horden von Frustrierten auf Wehrlose ein, überall sah man verbitterte, aggressive und irgendwo oder nirgendwo hin hetzende Menschen. Ich hatte einmal mit einer Gruppe von 4 jungen Rastafari auf die U-Bahn gewartet, als mit einem mal drei russische Nazis wie aus dem Nichts auftauchten und ohne Anlass, in blinder Wut auf die Rastas losprügelten. Nur die einfahrende Metro hat die Rastas vor schlimmeren Konsequenzen gerettet. Also es verging kaum ein Tag ohne Gewalt und ich musste mich selbst mehrmals gegen Angriffe von durchgeknallten Betrunkenen, Zuhältern oder irgendwelchen Agrospinnern wehren, ohne dass ich mir der geringsten Provokation bewusst geworden wäre. Und dann natürlich diese ganzen bewaffneten uniformierten Idioten. Mafiosi  in fetten Amischlitten, die jedes Verbrechen wegschmieren konnten, Verzweifelte die nichts mehr zu verlieren hatten, wütende Kriegsveteranen, potentielle Amokläufer an jeder Ecke. In dieser Akkumulation hört sich das übertrieben an, aber meine Fotos sind auch nicht übertrieben, auch wenn so mancher lieber wegsehen würde.      

Hast du selbst Korruption und Amtsmissbrauch erlebt?

Kann ich mich kaum noch daran erinnern. Ach ja doch, einmal bin ich mit ein paar betrunkenen Russen, früh morgens im Cadillac durch Moskau gerauscht und der Fahrer hat im Übermut eine Flasche Wodka aus dem Fenster geschmissen. Plötzlich tauchte ein Streifenwagen auf und die Sache wurde mit einem 100 Dollarschein geregelt.  Ein anderes Mal, dass hat jetzt nichts mit Korruption und Amtsmissbrauch zu tun, aber sagt etwas über die allgemeinen Zustände aus, wurde ich von einem Typ,  der vor einem Kiosk abhing angesprochen. „One Dollar.“ „One Dollar for what?“  “One dollar for bag.“ Er deutete auf  eine schmutzige, ausgebeulte Plastiktüte und ich dachte okay, schau mal rein, was er Dir für einen Dollar anbietet.  Und da waren doch tatsächlich in der Plastiktüte 4 Totenköpfe. 

 Gruselig und surreal, aber gleichzeitig auch sehr symbolisch für deinen Aufenthalt dort….    

Kann man so sagen. Ich glaube für den Dollar hat er sich eine Dose Bier gekauft.

Aus den Fotos lässt sich in jedem Fall auch eine große Empathie für diese gestrandeten Menschen herauslesen.  Mit dem Thema Armut und den fatalen Auswirkungen hast du dich seit dem immer wieder beschäftigt. Warum ist es dir wichtig das zu dokumentieren?

  Es ist natürlich nicht das einzige Thema mit dem ich mich beschäftige, man muss sich nur meine anderen Fotobücher „Radical Eye“ und „Valley of  the Shadow“  ansehen. Oder meine Romane lesen.  Aber Abgründe, Verzweiflung, Lust, Hass, Wut, Angst und Ohnmacht sind schon Themen mit denen ich mich immer wieder beschäftige  und auch schon zu Anfang meiner fotografischen, filmischen oder literarischen Tätigkeit beschäftigt habe. Das kommt in allen Gesellschaftskreisen vor, aber wie Du bereits erwähnt hast, ist der Armutsfaktor dabei ganz besonders fatal. Und im Grunde genommen völlig überflüssig. Wenn man z. B. vergleicht, wie viele Milliardäre es gibt und wie viele Leute im Überfluss leben, wie die Machtverhältnisse verteilt sind und wie viele Menschen in völlig unzureichenden, existenzbedrohenden sozialen Umständen, täglich ums Überleben kämpfen müssen oder noch nicht einmal mehr die Möglichkeit haben für ihr tägliches Brot kämpfen bezw.  arbeiten zu können, muss man einfach dazu Stellung nehmen. Ich kann das nicht ignorieren. Ich kann nicht einfach durch die Straßen ziehen und mich an denOberflächlichkeiten unserer Gesellschaft aufgeilen. Also wer eine Empathie für die gestrandeten in meinen Fotos spürt liegt absolut richtig. Obwohl ich nichts anderes mache als gnadenlos zu dokumentieren was eben vorhanden ist, aber vielen nicht auffällt, weil sie nur mit sich selbst beschäftigt sind.    

Kämpfst du mit deiner künstlerischen Arbeit gegen genau diese Ignoranz an?

Das ist die zwangsläufige Konsequenz aus meiner Arbeit. Nicht unbedingt vergleichbar mit bewaffnetem Widerstand, dafür fehlt mit das alternative Konzept und der Glaube an kollektive Entscheidungen, Ziele oder ein perfektes System. Mir geht es dabei immer um die Einzelschicksale. Man kann dafür nicht immer nur die Gesellschaft anprangern oder so tun, als stände man immer auf der richtigen Seite. Dass es mir besser geht, als vielen dieser kaputten Ausgestoßenen und dass ich mich sozusagen immer wieder aus der Affäre ziehen kann, ist eine Tatsache, die auch durch noch so viel Sympathie oder Engagement einen dialektischen Nachgeschmack hat. Die einzige Variante um von diesem Widerspruch abzulenken, ist die, dass man sich zum Crusader der Entrechteten, Unterdrückten und Aussätzigen macht. Aber dafür geht mein Engagement vielleicht nicht weit genug.     

Als du nach drei Monaten wieder aus Russland zurück in den Westen kamst, wie wirkte das auf dich?

Zunächst einmal war ich ziemlich fertig und konnte dieses ganze Elend nicht mehr sehen.  Ich fuhr von St. Petersburg mit dem Bus nach Helsinki, von dort mit dem Schiff nach Danzig und dann mit dem Zug nach Berlin. Eigentlich Zeit genug mich zu akklimatisieren. Aber irgendwie habe ich mich nie wieder ganz an den europäischen Westen gewöhnt. Diese kleinen, alltäglichen, selbstgefälligen, selbstgerechten,  bourgeoisen von den Medien hochgepeitschten Nöte, Probleme und Obsessionen erschienen mir damals wie heute ziemlich verlogen, bequem und oberflächlich. Ich meine hiermit den Zeitgeist. Im Osten herrschte das alltägliche Grauen und die Angst vor dem totalen Absturz und im Deutschland hat man sich an einer Revolution aufgegeilt, die von satten Politikern inszeniert worden war und die über den Gefährlichkeitsgrad von Schattenboxen nicht hinausgereicht hat. Risikofaktor Zero, aber was hat man daraus nicht alles für Helden kreiert:  Kohl, Springer, Reagan, Jelzin, Bush: Nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall des sowjetischen Empires hat doch kein Hahn mehr nach den Menschenrechten im Osten gekräht. Alle haben sich nur auf ihre fetten Schultern geklopft und globale Interessen vernetzt, an denen wir langsam ersticken.   

 Zur Zeit bist du wieder im Osten unterwegs. Diesmal nimmst du die Ukraine ins Visier. Mit welchen Themen beschäftigst du dich dort?

 Auf Grund eines Stipendiums von der Robert Bosch Stiftung, habe ich die Möglichkeit ein Fotoband über die Ukraine zu machen. Ich bin dabei viel auf der Straße unterwegs, ich war aber auch in einer TBC Klinik, einem Weisen Haus für HIV Kranke Kinder, einem Leichenhaus, 4 Zigeunercamps etc.  Natürlich hat man dabei immer nur eine beschränkte Perspektive, auf eben das, was man in der Zeit so erlebt und was einem begegnet. Man kann dem monumentalen Anspruch, ein objektives Werk über ein ganzes Land zu machen, nicht gerecht werden. Das ist völlig unmöglich. Man kann nur  Gefühle, Stimmungen, Nuancen und Eindrücke  vermitteln. Auch eine Million subjektiver Fotos bilden kein objektives Gesamtwerk. Trotzdem habe ich den Anspruch über meine üblichen Themen hinaus, auch  andere vielleicht glücklichere, unbefangenere, unspektakulärere Seiten zu zeigen. Aber alles im Rahmen meiner ästhetischen und atmosphärischen Vorlieben.  

 

 

Miron Zownirs London ist seltsam und dunkel, aber keinesfalls bösartig. 1978 und 80 scheinen seine Menschen noch Zeit und Raum zu haben, jenseits des Primats der Lohnarbeit. Es ist bevölkert von behäbigen alten Leuten, Berbern, allerlei Auswanderern und Punks. Die Stadt hat noch ausreichend Platz für sie alle. Der Raum, den Zownir in seinen Bildern eingefangen hat, ist großzügig und weit. Die Personen, die dem jungen Fotografen zustoßen, scheinen so ganz auf ihren Liegewiesen und Friedhofsbänken, in Hinterhöfen und Cafés aufgehoben zu sein. Die aufkommende Finsternis in diesen Weiten scheint so, als befänden wir uns auf der Schwelle zu Thatchers neoliberalem Großbrittanien.

Diese 51 schwarzweißen Fotografien gehören zum frühesten Werk dieses Fotografen, der in späteren Jahrzehnten für seine ausgeprägte Empfindsamkeit gegenüber den Menschen, die an den Rändern der Gesellschaften in Berlin, New York, Moskau, Kiew und Bukarest leben, noch berühmt werden sollte. Die Geschichte wird stets von den Gewinnern geschrieben und es sind ihre Porträts, die sie als Reklame für ihre Welt mit sich führen. Zownir stößt seinen Figuren mit seiner Kamera zu, aber er ist es auch, der ihr Abbild errettet.

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Liviu Bulea: Exploring the East throuth the Lense of Miron Zownir, in: Peripheral Magazine, 1. 2024

CV

Ausstellungen

2024
Photography Noir. Existence, Galerie K', Bremen

2023
Dix und die Gegenwart, Deichtorhallen, Hamburg
Photography Noir. Existance (mit Alexander Chekmenev und Rimaldas Vikšraitis, Niceta, Palermo
CLOSE TO THE EDGE. FOTOGRAFIEN (1978-1983) - Brotfabrikgalerie Berlin
Die Bücher der Künstler/innen, Galerie K', Bremen

2022
Ukrainian Night, Weserburg - Museum für moderne Kunst, Bremen
Ukrainian Night, Kunstmuseum Gelsenkirchen
Berlin/New York, Turm zur Katz, Konstanz
OUTLAW, Ausstellungshalle des Zentrums für Kulturkommunikation, Foto Festival Klaipeda, Litauen
Istanbul, Galerie Bene Taschen, Köln

2021
london seven eight, Galerie K', Bremen
Zeitwirdknapp. Retrospektive 1977–2019, Centro Internazionale di Fotografia, Palermo, Italien
Romania Raw, Goethe-Institut Bukarest, Rumänien
Romania Raw, Galerie Boderline Art Space, Rumänien

2020
Romania Raw, Muzeul de Arta Cluj-Napoca, Rumänien
Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980, Museum für Fotografie, Berlin
Berlin, 1945–2000: A Photographic Subject, Reinbeckhallen, Berlin

2019
Urban Landscapes, Galerie Bene Taschen, Köln
Romania Raw, Galerie pavlov’s dog, Berlin
Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

2018
EUROPEAN MONTH OF PHOTOGRAPHY, Brotfabrik Galerie, Berlin

2017
ART PHOTO BUDAPEST, Galerie Koppelmann, Budapest, Ungarn
Tales From The Other Side, Interzone Galleria, Rom, Italien
ART BERLIN, Galerie Bene Taschen, Berlin
Galerie Bene Taschen, Köln

2016
Hof 5, Zurich, Schweiz
Ken Schles, Jefrey Silverthorne, Miron Zownir, Deichtorhallen, Hamburg
Hardhitta Gallery, Köln
Ukranian Night, Kunstwerk Nippes, Köln
International Elias Canetti Society, Ruse, Bulgarien

2015
Ukranian Night, Galerie K', Bremen
Ukranian Night, Visual Culture Research Center, Kiev, Ukraine
Urban Maze, Georgian National Museum of Fine Arts, Tiflis, Georgien

2014
Photography from 1978 - 2013, Hardhitta Gallery, Köln

2013
Your Daily Darkness, Neurotitan, Berlin
Miron Zownir Fotografie 1978 - 2011, Reception, Frankfurt am Main
Offene Wunden - Bilder aus dem freien Osteuropa, Galerie K', Bremen

2012
barefaced, Kunstwerk Nippes, Köln
Okraina, Visual Culture Research Center, Kiev, Ukraine
Twilight Zone, Galerie Emmanuel Post, Berlin

2011
Visual Culture Research Center, Kiev, Ukraine
Radical Eye, Fotogalleriet [format], Malmö, Schweden
The Valley Of The Shadow, MOPIA, Zürich, Schweiz
The Valley Of The Shadow, Galerie Emmanuel Post, Leipzig

2010
Slick Art Fair, Jas Gallery, Paris, Frankreich
Goethe Institut / Red House, Sofia, Bulgarien
Are You Coming Too?, Knoth & Krüger, Berlin

2009
Darkside II – Fotografische Macht und fotografierte Gewalt, Krankheit und Tod, Fotomuseum Winterthur, Schweiz
Bongout Gallery, Berlin

2008
Darkside I – Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität, Fotomuseum Winterthur, Schweiz
Miron Zownir, MOPIA, Zürich, Schweiz
Fotografie mit Tiefenwirkung, Mousonturm, Frankfurt am Main
Radical Eye, Galerie Emmanuel Post, Leipzig
Stark - Berlin Fashion Week, Umspannwerk Humboldt, Berlin

2007
Radical Eye, The Horse Hospital, London, England

2005
Galerie Knoth & Krüger, Berlin

2004
Galerie Reimann Le Bègue, Düsseldorf

2002
Galerie Loyal, Kassel
Kulturverein Kinski, Berlin

1999
Büro für Fotos, Köln

1998
Juliettes Literatursalon, Berlin
Künstlerhaus, Dortmund
TV- Gallery, Moskau, Russland
Kunstamt Mitte, Berlin

1997
Studio Bildende Kunst, Berlin
VKK, Hannover

1996
Tresor, Berlin

1994
Erotik Art Museum, Hamburg
Endart Galerie, Berlin

1993
Studio Bildende Kunst, Berlin
VKK, Hannover

1991
Villa, Ochtrup

1988
Gotham Fine Arts, New York, USA
März- Ausstellungen, Köln

1985
Grauwert Galerie, Hamburg

1983
Galerie Apex, Göttingen

1983
CNA Gallery, San Francisco, USA

1983
Ambush Gallery, San Francisco, USA

1982
Neikrug Gallery, New York, USA
Danceteria, New York, USA

1981
Galerie Nagel, Westberlin

Fotobücher

Quaderno Palermo #4 | 2024 | 89books, Palermo
Walk Through the Fire | 2023 | Gomma Publishing Ltd, London
Istanbul | 2023 | Pogo Books / Galerie Bene Taschen, Berlin / Köln
Apotheosis and Derision | 2021 | Pogo Books, Berlin
Romania Raw | 2020 | Pogo Books, Berlin
Berlin Noir | 2016 | Pogo Books, Berlin
Ukrainian Night | 2015 | Spector Books, Leipzig
NYC RIP | 2015 | Pogo Books, Berlin
Down and out in Moscow | 2014 | Pogo Books, Berlin
Offene Wunden - Bilder aus dem freien Osteuropa | 2013 | mox & maritz, Bremen
The Valley of the Shadow | 2010 | Die Gestalten Verlag, Berlin
radical eye | 1997 | Die Gestalten Verlag, Berlin 
Miron Zownir Fotografien | 1991 | Erotic Art Museum Hamburg
Poet der radikalen Fotografie | 1988 | Apex-Verlag, Köln
Viele Grüße aus New York | 1983 | Fotografie, Göttingen

Belletristik

Sorry, Lana | 2022 | Golden Press, Bremen
Pommerenke (mit Nico Anfuso) | 2017 | Cultur Books, Berlin & Hamburg
Umnachtung | 2014 | mox & maritz Verlag, Bremen
Parasiten der Ohnmacht (gelesen von Birol Ünel | 2011 | Deutsche Grammophon
Parasiten der Ohnmacht | 2009 | mox & maritz Verlag, Bremen
Kein schlichter Abgang | 2003 | MirandA Verlag, Bremen

Filme (Auswahl)

Back to nothing | 2015 | BRD | HD | 98 min
Absturz | 2012 | BRD | HD | 19 min
Phantomanie | 2010 | BRD | HD | 85 min 
Bruno S. - Die Fremde ist der Tod | 2003 | BRD | Beta | 60 min 
Now or never | 1996 | BRD  | 35mm | 14 min 
Dead End | 1992 | USA  | 16 mm | 24 min